Nr. 10
«Das ist
uns alles zu
politisch»

Nichts tun auch!

Wenn wir uns gegen Mietenwahnsinn und Wohnungsnot wehren und dafür Verbündete in den sozialen Organisationen oder staatlichen Institutionen suchen, heisst es stets: «Uuh, das ist uns zu heikel, das ist uns zu politisch.» Warum eigentlich?

Es ist nicht ‚zu politisch‘, bestehendes Recht einzufordern.

1.
Wir alle haben ein Recht auf Wohnen!

Auch wenn die Schweiz keinen expliziten Verfassungsartikel dazu kennt wie andere Länder, sind letztendlich auch wir durch ein Recht auf Wohnen geschützt.1 Es gilt die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und es gelten die in der Bundesverfassung verankerten Sozialziele. Die Kantonsverfassung Basel-Stadt kennt sogar ein explizites ‚Recht auf Wohnen‘ – das könnte also auch in Zürich in die Verfassung aufgenommen werden.

1) www.humanrights.ch/de/news/menschenrecht-wohnenensionskasse»

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Artikel 25 – Recht auf einen angemessenen Lebensstandard

Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden einschliesslich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztlicher Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet; er hat das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter oder von anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände. […]

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I)

[…] Rechte auf Existenzsicherung: Recht auf soziale Sicherheit, Recht auf Schutz der Familie, Recht auf angemessenen Lebensstandard, d.h. auf ausreichende Ernährung, Bekleidung und Unterbringung sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen; Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmass an Gesundheit. […]

Schweizer Bundesverfassung, Artikel 41 (Sozialziele)

Bund und Kantone setzen sich in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür ein, dass: […]
e. Wohnungssuchende für sich und ihre Familie eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden können; […]

Schweizer Bundesverfassung, Artikel 108
Wohnbau- und Wohneigentumsförderung

  • 1 Der Bund fördert den Wohnungsbau, den Erwerb von Wohnungs- und Hauseigentum, das dem Eigenbedarf Privater dient, sowie die Tätigkeit von Trägern und Organisationen des gemeinnützigen Wohnungsbaus.
  • 2 Er fördert insbesondere die Beschaffung und Er-schliessung von Land für den Wohnungsbau, die Rationalisierung und die Verbilligung des Wohnungsbaus sowie die Verbilligung der Wohnkosten.
  • 3 Er kann Vorschriften erlassen über die Erschliessung von Land für den Wohnungsbau und die Baurationalisierung.
  • 4 Er berücksichtigt dabei namentlich die Interessen von Familien, Betagten, Bedürftigen und Behinderten.

Kantonsverfassung Basel-Stadt

§11.c) Diese Verfassung gewährleistet überdies: (…) dass der Kanton das Recht auf Wohnen anerkennt. Er trifft die zu seiner Sicherung notwendigen Massnahmen, damit Personen, die in Basel-Stadt wohnhaft und angemeldet sind, sich einen ihrem Bedarf entsprechenden Wohnraum beschaffen können, dessen Mietzins oder Kosten ihre finanzielle Leistungsfähigkeit nicht übersteigt. – Umsetzungsfrist: Diese Verfassungsänderung ist spätestens zwei Jahre nach ihrer Annahme durch die Stimmberechtigten umzusetzen

Und in der Kantonsverfassung Zürich?

In der Zürcher Kantonsverfassung steht nur “Kanton und Gemeinden fördern den gemeinnützigen Wohnungsbau und das selbst genutzte Wohneigentum” (Art. 110). Das ist nicht sonderlich fortschrittlich. Doch das muss nicht so bleiben!

Weiterlesen

Im europäischen Parlament wurde am 21.1.2021 ein umfassender Bericht verabschiedet, in dem klare Strategien gegen die Wohnungskrise gefordert werden. Unbedingt lesen!

2.
Nichtstun ist auch politisch: konservativ und bürgerlich politisch.

Wenn das Wohnen eigentlich ein Menschenrecht ist,
und ausserdem die Basis für soziale Sicherheit, Wohlstand, Partizipation etc., kann sich keine soziale Institution als ’neutral‘ daraus zurückhalten. Darum für alle Mutigen:

  • Wer von Betroffenen hört, aber ihnen nicht hilft, handelt auch politisch – einfach politisch im Sinne der vorherrschenden Macht- und Besitzverhältnisse, also bürgerlich politisch.
  • Wer Zugang zu Wissen über Verdrängungsprozesse in einem Quartier hat und dieses nicht öffentlich (oder wenigstens gezielt) zugänglich macht, handelt politisch – nämlich im Sinne der Eigentümer*innen, also bürgerlich politisch.
  • Wer Kontakt zu Entscheidungsträger*innen hätte, diese aber nicht nützt, um auf die Wohnkrise hinzuweisen, handelt politisch – nämlich den Status Quo bewahrend, also konservativ politisch.
  • Wer eine Siedlung asozial entwickelt, obwohl es auch anders ginge, denkt primär wirtschaftlich und auf den eigenen finanziellen Vorteil bedacht – also bürgerlich politisch.

Darum seid mutig, vertretet euren sozialen Auftrag, werdet aktiv gegen die Wohnungskrise!