Nr. 9
«Wir brauchen
Ersatz­neubauten
um das Klima
zu retten»

So leicht ist es nicht!

Oft werden Abrisse von Häusern ökologisch begründet: Die bestehenden Bauten seien Energieschleudern, man müsse sie dringend ersetzen! Je nach Absender ist das Green Washing.

Häuser abzureissen und neu zu bauen darf nicht mehr der Normalfall sein.

1.
Ersatzneubauten
sind gar nicht so ökologisch!

Was stimmt: Ein grosser Teil der älteren Gebäude sind massive Energieschleudern. Die Häuser sind schlecht isoliert und werden mit Öl und Gas beheizt. Für fast die Hälfte des Schweizer Energiebedarfs und ein Viertel des CO2-Ausstosses ist deshalb der Gebäudepark verantwortlich.1 Aber diese Häuser abzureissen ist nicht die Lösung: Durch Abriss wird in der Schweiz aktuell jede Sekunde über 500 kg Bauabfall produziert.2 Die Ersatzneubauten sind dann zwar im Betrieb viel ökologischer, aber ihr Bau ist wiederum sehr material- und energieintensiv. Der Betrieb macht über eine 30-jährige Lebensdauer eines Gebäudes nur ¼ der CO2-Emissionen aus, ¾ fallen auf die Erstellung zurück.2

1) Schweizer Baumeisterverband, 18.5.2021: «Modernisierungsoffensive des Gebäudeparks muss sich auf alle Baustoffe abstützen»
2) Ausstellung «Die Schweiz ein Abriss» vom Verein Countdown 2030 im Schweizerischen Architekturmuseum Basel, 2022

Welche Häuser werden abgerissen?

Es werden insbesondere Wohnhäuser abgerissen, die zwischen 1940 und 1970 erbaut wurden. Diese befinden sich grösstenteils genau in denjenigen Stadtteilen, wo noch am meisten Menschen mit kleinem Portmonee und / oder mit Migrationserfahrung leben.

Quelle: Stadt Zürich, Larissa Plüss, 2022: «Sozialräumliches Monitoring»

Weitere Info:

beispiel-bergacker.ch

Verfügbarer Raum, der bereits gebaut ist:

Es stünde viel bereits gebauter Raum zusätzlich zum Wohnen zur Verfügung: Zum Beispiel überall dort, wo Wohnungen von Eigentümer*innen nicht vermietet werden (weil sie auch leer stehend als Anlage dienen), wo Vermietungen wegen ungeklärten Erbschaftsprozessen blockiert sind, wo Zweitwohnungen meistens oder fast ständig ungenutzt sind, wo jemand alleine in einer 5-Zimmer-Wohnung lebt aber faktisch nur 2 Zimmer wirklich nutzt, wo Büroraum nicht mehr vermietet werden kann, wo Wohnungen per Airbnb an Tourist*innen vermietet werden anstatt an Menschen, die ein fixes Zuhause brauchen… Alle diese Räume werden übrigens auch nicht durch die Leerstandsziffer (siehe Mythos Nr. 1) gemessen. Wer aber die Wohnungskrise und die Klimakrise gleichzeitig angehen will, sollte diese Flächen unbedingt mit-bedenken. Lösungen könnten dann z.B. Tauschbörsen sein (gibt es in anderen Städten), Belegungsvorschriften, einfachere Umzonungen….

2.
Die Zukunft beginnt im Bestand!

Abriss und Neubau von Gebäuden verbraucht sehr viel Graue Energie. Oft wäre es also ökologischer, mit dem Bestand zu arbeiten, zum Beispiel:

  • bestehende Häuser ökologisch sanieren: neue Heizung, bessere Dämmung, Verwendung von re-use Bauteilen…
  • im Bestand verdichten: Aufstockungen, Anbauten, effizientere Grundrisse
  • den Bestand effizienter nutzen: persönlichen Flächenbedarf reduzieren, Wohnungstausch erleichtern, Büroraum umnutzen, Zweitwohnungen & Airbnb einschränken, …

Das Gute an all diesen Ideen: Sie wären auch sozial nachhaltiger, denn bestehende Mieter*innen könnten (ev. sogar während dem Umbau) wohnen bleiben und Mietzinse würden weniger stark steigen.

Baustellen reduzieren

Bei einem Ersatzneubau dauert es von der Leerkündigung bis zum Neubezug etwa 3 Jahre – 3 Jahre also, in denen die Wohnungen fehlen. Gemäss Schätzung von Countdown2030 sind somit in Zürich ca. 4% der Liegenschaften nicht bewohnbar wegen Baustelle.

Quelle: Input von Countdown2030 in der Zentralwäscherei, 26. Oktober 2022

Flächenverbrauch reduzieren

Wir verbrauchen mehr Wohnfläche pro Person als früher: In der Stadt Zürich liegt der Schnitt bei 41,4 m2. 1980 war der Flächenverbrauch pro Person noch bei 36,6 m2.1 Ein Gedankenexperiment: Wenn alle im Schnitt auf diese 5 Quadratmeter wieder verzichten würden, könnten nochmals 60‘000 zusätzliche Einwohner*innen in der Stadt leben. Natürlich ist das etwas schwierig umzusetzen 🙂

1) Statistik Stadt Zürich, Belegung, Wohnflächenkonsum (abgerufen 23.3.2023)

Gossip

Wir hören, dass der Unterhalt von Liegenschaften oft strategisch vernachlässigt wird. Man lässt das Haus verlottern, damit man nachher mit gutem Grund sagen kann: «Das ist eine Bruchbude, die müssen wir abreissen». Der Unterhalt von Häusern muss wieder viel mehr Gewicht erhalten!

Gossip 2

Wenn Investor*innen Ersatzneubauten planen, argumentieren sie zwar oft mit Verdichtung und ökologischer Aufwertung. Manche geben aber auch relativ unverblümt zu, dass es eine rein wirtschaftliche Strategie ist: «Irgendwann erreicht ein Bauwerk halt das Ende des Lebenszyklusses, das ist halt der Kapitalismus, es muss ja spannend bleiben. Du hast Lagen, die entwickeln sich, Gentrifizierung undsoweiter […] und wenn das Objekt halt am Ende des Lebenszyklus ist, dann muss sich der Besitzer halt überlegen: Was mach ich damit? Was macht wirtschaftlich Sinn? Und das an so einer teuren Lage einfach stehen zu lassen, verrotten zu lassen, das macht einfach keinen Sinn. So funktioniert die Wirtschaft nun mal nicht. […] Es ist ein ganz normaler Lebenszyklus, dass etwas stirbt und Platz macht für etwas Neues, Besseres. So funktioniert nun mal die Welt» (aus dem Crowdhouse-Podcast How to Real Estate).